Wie schwer ist es eigentlich, nicht sexistisch zu schreiben?

Inhaltswarnungen: Sexismus, binäre Geschlechterkonstellationen, inflationärer Gebrauch des Wortes „Empowerment“

Zum Thema Binarität: Dieser Text entstand aus Frust über Geschichten, die ich in den letzten zwei Jahren gelesen habe. Es geht um die Rollen von cis Frauen und cis Männern in diesen Geschichten. Ich sage hier nichts über die Darstellung von trans, inter, agender oder nicht-binären Personen, weil diese Menschen in den Geschichten gar nicht vorkamen. Ein Teufelskreis aus mangelnder Repräsentation. Da ich zumindest derzeit keine Vielleserin sondern eher Gelegenheitsleserin bin, brauch ich ein bisschen Zeit, um da aufzuholen.

So. Das Patriarchat ist vorbei, offiziell, irgendwie. Bundeskanzlerin, Wahlrecht, Elternzeit für Väter. Und es ist trotzdem furchtbar schwierig, das patriachale Gefüge aus fiktiven Geschichten herauszuhalten. Warum?

Wenn man schreibt, wenn man eine fiktive Geschichte gestaltet, dann fließt da alles mit ein, was eigene Lebenserfahrung ist. Man kann keinen Teil der eigenen Geschichte ganz außen vorlassen. Man kann nicht sagen: „Darüber will ich nicht schreiben, also lasse ich es weg.“ Unbewusst sind wir einfach beeinflusst von dem, was wir über die Welt schon so verinnerlicht haben. Natürlich kann man reflektiert sein, seine Texte überarbeiten, sich Meinungen von anderen einholen usw. Aber der eigene Text wird immer widerspiegeln, wie man selbst die Welt bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hat. Dazu gehört auch, was wir über Geschichten und das Geschichtenerzählen gelernt haben.

In jeden Text einer Person, die auch nur annähernd meine Lebenserfahrung hat, fließt auf diese Weise auch Sexismus ein, ob man das nun will oder nicht. Mal ist es offensichtlicher, mal unterschwellig. Und besonders relevant finde ich, dass sich Sexismus sehr häufig in Texten findet, die eigentlich versuchen, genau eben nicht sexistisch zu sein.

(Wer darüber noch nie nachgedacht hat und sich unsicher ist, warum das überhaupt problematisch ist, findet Antworten dazu im vorhergehenden Blogeintrag „Warum fiktive Geschichten echte Probleme machen“.)

Angenommen, ich hätte zwei Geschichten. Eine handelt davon, wie eine Frau gekidnappt wurde und später von einem Polizisten gerettet wird. Die andere handelt davon, wie ein Mann gekidnappt wurde und von einer Polizistin gerettet wird.

Was denkst du, welche davon ist eher empowernd? Eher sexistisch?

Tja, man kann es nicht wissen. Es könnte sein, dass die erste Geschichte einen klischeehaften „Damsel in distress“-Trope bedient, in dem die Frau lediglich als hilfloses Opfer und der Polizist als glorioser Retter vorkommt.

Es kann aber auch sein, dass ich in der ersten Geschichte einen überaus interessanten inneren Monolog der Frau erlebe, die sich nicht unterkriegen lässt, Fluchtpläne macht und vielleicht sogar am Ende den Polizisten aufgrund eines klugen Einfalls auf sich aufmerksam machen kann. Oder vielleicht ist sie tatsächlich hilflos, sieht ihr Ende kommen und sinniert auf eine faszinierende Weise über ihr Leben nach. Es könnte also sein, dass die Frau in der Geschichte als eine aktive, kompetente, eigenständige Person auftaucht, obwohl sie in einer recht machtlosen Position und auf Rettung durch andere angewiesen ist.

Genauso könnte es in der zweiten Geschichte sein, dass die Polizistin am Ende dem Mann, der sich eigentlich schon beinahe selbst gerettet hat, in die Arme läuft, auf Äußerlichkeiten reduziert beschrieben wird und letztlich nur die hübsche Belohnung für den Mann darstellt.

Und dann habe ich noch gar nichts darüber gesagt, wer eigentlich gekidnappt hat. Vielleicht ist es in beiden Geschichten eine Täterin, die in einem Fall mit durchaus menschlichen Attributen beschrieben wird, im anderen Fall aber lediglich Projektionsfläche für masochistische Männerfantasien ist.

„Show, don’t tell“ gilt bei der Darstellung empowerter Frauencharaktere besonders. Die äußere Situation, ob ein Charakter z. B. in einer hilflosen Lage oder die Retterin ist, sagt gar nichts darüber aus, ob dieser Charakter als eine aktiv handelnde Person mit eigenen Motiven und Ideen dargestellt wird. Eine Zuschreibung, die nur irgendwo steht, aber nie in Aktion zu sehen ist, ist für mich als Leserin ziemlich wertlos.

In einer Geschichte gibt es beispielsweise eine Königin, die über das ganze Land herrscht. Sie ist also sehr mächtig. Es wird sogar hingeschrieben, wie gut sie das Land regiert, wie klug sie ist und dass sie viele loyale Untertanen hat, weil sie eben so toll ist.

Leider erleben wir diese Königin in der gesamten Geschichte nie als diese kompetente Person, als die sie beschrieben wird. Stattdessen weint sie permanent, zerbricht an ihrer enormen Regierungsverantwortung und überlebt verschiedene Intrigen nur gerade soeben, weil ihr Liebhaber ihr ins Ohr flüstert, was sie denn in brenzligen Situationen tun sollte und wer für sie eine Gefahr darstellt.

Super empowernd, oder?

Oder man schreibt wirklich eine starke Königin, die alles im Griff hat, super kompetent auftritt und von allen respektiert wird. Die sogar Einfluss auf die Geschichte hat. Yeah, so weit, so gut. Aber dann macht sich diese Königin permanent über ihre weiche Schwester oder den naiven Bruder lustig, weil die lieber häkeln und Blumen pflanzen und nicht so gut kämpfen können wie sie. Es ist nämlich wichtig, dass unsere empowerte Königin viele „männliche“ Fähigkeiten hat – wie kämpfen, hart sein und logisch denken – und „weibliche“ Fähigkeiten weiterhin verlacht werden. Wo kämen wir sonst hin mit unserem Empowerment.

Hier an dieser Stelle, wo ich „männlich“ und „weiblich“ in Anführungsstriche gesetzt habe, landen wir auch bei einem Grundproblem in dieser ganzen Debatte. Empowerment ist nicht, Frauen jetzt einfach genauso wie Männer zu schreiben oder die Rollen zu tauschen. Es geht letztlich darum, in ganz neuen Mustern zu denken – und dann eben auch so zu schreiben – in denen diese Zuschreibungen gar keine große Rolle mehr spielen.

Ein Charakter ist nicht unempowert, wenn er verunsichert ist, gern Blümchen mag oder eine zarte Stimme hat. Er ist vor allem dann unempowert, wenn ihm in der Geschichte keine Bühne und kein eigener Handlungsspielraum gegeben wird. Der geringste Handlungsspielraum, den eine Person haben kann, ist, gar nicht erst in einer Geschichte vorzukommen. Damit möchte ich kurz nochmal an meinen Hinweis vom Anfang erinnern. Ein Ausbrechen aus den Mustern bietet so viel mehr Raum für so viele unterschiedliche Menschen.

Die Anzahl an Personen ist übrigens generell relevant. Wenn in einer Geschichte nur ein einziger weiblicher Charakter vorkommt und alle anderen männlich sind, dann ist es zumindest bei längeren Geschichten nahezu unmöglich, keinen Murks mit diesem weiblichen Charakter anzustellen. Weil alles, was man diesem Charakter zuschreibt, ALLEN Frauen der Geschichte zugeschrieben wird. Ein generelles Problem mit einzelnen Quoten-Charakteren. Wenn ihr drei Frauen habt, die nicht alle genau gleich sind, dann ist schon ein wenig Druck vom einzelnen Charakter genommen. Natürlich kann man auch bei mehreren Frauen immer noch großen Murks machen (z. B. wenn alle diese Frauen ständig hilflos sind, oder wenn die „reine, brave“ am Ende alles Glück der Erde bekommt und die „aufsässige, lustvolle“ von der Geschichte bestraft wird…).

Und jetzt möchte ich noch auf eine Feinheit hinweisen, die vielleicht erst einmal nicht ganz griffig, aber unfassbar wichtig ist. Es geht um die innere Entwicklung von Charakteren. In der Regel erlebt man in Geschichten die innere Entwicklung des Hauptcharakters auch am stärksten mit. Oft geht es darum, dass dieser Charakter anfängliche Ängste überwindet oder seine Einstellung zu etwas bedeutsamem ändert.

Wenn der Hauptcharakter weiblich ist, trifft das oft nicht zu. Dann findet häufig, mehr oder weniger subtil, eine Verlagerung auf einen männlichen Nebencharakter statt. Die Protagonistin wird zu einer Person, die die Entwicklung des Nebencharakters begleitet. Sie wird dann als stark, kompetent und hilfreich dargestellt – und müsste deswegen doch empowern? Nein. Weil man kein Interesse an dieser Person entwickeln kann, wenn sie sich innerlich gar nicht bewegt. Wenn sie am Anfang genauso stark und kompetent ist wie am Ende. Der Nebencharakter wird dagegen interessant, wir fiebern mit seiner Entwicklung mit. Und dann heißt es wieder, dass Geschichten mit Protagonistinnen eben nicht so spannend sind. Dass männliche Charaktere mehr interessieren.

Weil sie eben so geschrieben werden! Nicht, weil sie irgendein Geschlecht haben.

Ich entwickle inbrünstige Abneigungen gegen alle Geschichten, die mir eine wirklich tolle Frau hinstellen, mit der ich mich identifizieren kann und möchte, und die diese Frau dann trotzdem nur wie einen magischen Werkzeugkoffer durch die Story schleifen. Dafür gibt es übrigens auch den Begriff „Sexy Lamp Trope“, sinngemäß: Es ist kein relevanter Charakter, wenn man die Frau durch eine sexy Lampe ersetzen kann und der Plot immer noch funktioniert. Ich habe hier von einem magischen Werkzeugkoffer geschrieben, weil das zumindest in meinem favorisierten Genre – Fantasy – eher hinkommt. Die Protagonistin kann im richtigen Moment alle heilen oder alle wegteleportieren oder sowas „Plotrelevantes“. Oft tut sie das sogar ohne jede Schwierigkeit und immer wieder, wenn es nötig ist. Cool, oder? So eine starke, kompetente… ich wiederhole mich.

Über konkrete, häufig wiederkehrende Tropes haben schon viele Leute diverse Artikel geschrieben oder Videos gemacht. Ich empfehle z. B. folgende auf YouTube verfügbare Videos: die „Tropes vs. Women“-Reihe von Anita Sarkeesian; alles von Pop Culture Detective. Ich habe von beiden viel gelernt.

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