Sport bei Depression?

Bildbeschreibung Beitragsbild: Eine unter Sofakissen vergrabene Person, von der man nur die nackten Füße und Unterschenkel in Jeans sieht.

Hinweis: Es geht in diesem persönlichen Erfahrungsbericht darum, warum für mich persönlich Sport kein hilfreicher Ansatz war, als es mir schlecht ging, sondern sogar schädlich. Das ändert nichts daran, dass es für andere ein hochwichtiger Baustein auf dem Weg aus einer psychischen Erkrankung sein kann.

Inhaltswarnungen: Beschreibung von negativen Gefühlen und Versagenserleben

Es hat sich ja doch mittlerweile herumgesprochen, dass Bewegung gegen Depression hilft. Das ist einerseits wahr, zumindest gibt es dazu Studien, andererseits aber auch ziemlich verkürzt.

Ich bin unsportlich gewesen, seit ich in die Pubertät gekommen bin. Ich habe in der Zeit sehr schnell viel neue Körpermasse bekommen, von der mein Kreislauf überfordert war. Gerade konnte ich noch mit den anderen fangen spielen, plötzlich bekam ich nach ein paar Metern laufen nicht mehr genug Luft. Sportunterricht fängt das nur so semi-gut bis gar nicht auf und Sportvereine gehörten nie zu meinem Leben. Also, Unsportlichkeit hatte in meinem Leben bereits eine ca. zehnjährige Tradition, als ich so richtig depressiv wurde. Ich meine, ich habe mich nicht gar nicht bewegt, immerhin den Alltag überwiegend zu Fuß bewältigt oder Wanderurlaub gemacht.

In dieser Phase habe ich, ermutigt von Freunden und den Möglichkeiten des Unisports, verschiedene Sportarten ausprobiert. „Fit&Fun“, Tai Chi, Kung Fu, Yoga, Rückenfit…

Was mich am meisten frustriert hat, war dieses Märchen, wie gut es einem doch nach dem Sport ginge. Meine Erlebnisse? Sport hatte vor allem den Effekt, dass alles, was sich depressiv und furchtbar angefühlt hat, sehr lebhaft in mein Bewusstsein geholt wurde. Das passierte beim Sport, wie ein psychischer Schmerz, der irgendwo in meinem Körper auftaucht, blieb aber nach dem Sport auch immer noch eine Weile. Um mich rum dann die Leute, die am Ende vom Training davon schwärmen, wie gut sich das doch alles anfühlt, wie froh man dann ist, dass man sich aufgerafft und es gemacht hat.

Dieses Erleben hat meine depressiven Gedanken gefüttert: Dass ich es eben nicht richtig mache. Mich nicht genug anstrenge, um mich am Ende gut zu fühlen. Oder eben „falsch“ Sport mache. Wenn ich mich dann überanstrengt habe, war der psychische Effekt immer noch der gleiche, dafür hatte ich mit horrenden Muskelschmerzen zu kämpfen.

Die Angst vor diesem Depressions-Verstärkungs-Effekt hat mich oft davon abgehalten, überhaupt noch in die Sportkurse zu gehen. Das damit verbundene Misserfolgserleben war natürlich für meine Depression auch total super. Mal ganz abgesehen von schlechtem Gewissen gegenüber Kursleitern oder Scham, was es mir dann irgendwann auch unmöglich gemacht hat, es überhaupt noch mal zu versuchen.

Sport hilft gegen Depression. Wer nichtmal das hinkriegt, will wohl nicht gesund werden, hm?

Man weiß noch nicht so richtig viel darüber, wie eigentlich emotionales Erleben im Körper gespeichert wird. Dass es passiert, wissen aber zumindest interessierte Psychotherapeuten und Körpertherapeuten. Ich weiß es jetzt aus persönlicher Erfahrung und würde es so formulieren:

Im Stillstand meines Körpers waren auch die furchtbaren Dinge beruhigt. Meinen Körper wieder in Bewegung zu setzen, bedeutete, schlafende Ungeheuer zu wecken. Es hieß, in eine Dunkelheit zu tauchen, vor der ich fliehen wollte.

Jetzt, ein paar Jahre später. Der Weg hierhin enthält zu viele persönliche Dinge, über die ich hier nicht schreiben will. Aber es gibt ein Jetzt. Die Depression ist überwunden, viele persönliche Themen bearbeitet. Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich das Projekt „Sport“ wieder in Angriff genommen. Ich hatte mir dabei selbst versprochen, mir dabei nicht weh zu tun. Nicht körperlich und nicht psychisch. Kein Durchhalten und keine Disziplin, sondern warmes Eigenlob für jeden Schritt. Sobald es unangenehm wird, aufhören.

Darüber mögen jetzt viele Sportler den Kopf schütteln, denn es „zählt erst, wenn es weh tut“, erst „nach 20 Minuten wird überhaupt…“ und „man muss schon wenigstens…, sonst bringt es gar nichts!“

Obwohl meine Depression weit hinter mir lag, hatte Sport anfangs den bekannten Effekt. Lauter gruselige Dinge, die irgendwo in den Tiefen meiner Bewegungslosigkeit immer noch herumlagen, sind aufgewirbelt worden. Ängste, Zweifel, Traurigkeiten. Alles mögliche. Es gab immer wieder den Punkt, wo ich Übungen wegen psychischer Schmerzen abgebrochen habe.

Das ist der Grund, warum ich diesen Text schreibe. Ich kenne aus den Sportkursen die Durchhalteparolen. Das Antreiben zu noch mehr Leistung, „doch noch ein Set mehr, haha, wie wir alle ächzen, aber nachher fühlen wir uns gut, haha“.

Es geht mir heute noch so, wenn ich mir ein Sportvideo zum Mitmachen raussuche, dass ich plötzlich denke „Was, wenn du das nicht schaffst?“, und dann steigt Panik in mir hoch, weil ich mich erinnere, an die tausend Misserfolgserlebnisse, an den Schmerz und die Angst. Obwohl ich jetzt weiß, dass ich nicht weitermachen muss. Ich bin mittlerweile sogar in der Lage, Übungen langsamer oder einfacher zu machen, als das Video zeigt. Ich bin sanft zu mir selbst, liebevoll und vorsichtig. Aber trotzdem schlägt die Angst manchmal zu, weil Sport in meinem Leben so lange etwas war, dass mich einfach nur tiefer in die schlechtesten Gefühle getrieben hat.

Seit einem halben Jahr etwa schaffe ich es, wirklich regelmäßig auch länger als 15 Minuten was sportliches zu tun. Und ich bemerke jetzt – nach diesem halben Jahr – das erste Mal einen positiven Effekt auf meine Psyche. Das erste Mal kann ich körperlich spüren, wie sich durch den Sport Stress reduziert, wie Entspannung kommt. Ich fühle mich jetzt manchmal „gut ausgepowert“ und verstehe, wovon denn diese anderen Menschen eigentlich gesprochen haben.

Es war ein sehr, sehr langer Weg bis hierhin. Und kein Schritt nach vorn hatte mit Durchhalten und harter Disziplin zu tun. Mein Rückzug vor dem Sport war nie Versagen, sondern immer ein – wie ich heute weiß – hochwichtiger Selbstschutz.

2 thoughts on “Sport bei Depression?

  1. Mimi | still & sensibel

    Ein sehr toller Beitrag. Ich kann das zu großen Stücken nachempfinden. Für mich war Sport schon immer eher Quälerei als etwas Gutes. In der Schule wurde ich wegen meiner Unsportlichkeit gehänselt und ausgeschlossen. Ich hatte damals vor jeder Sportstunde Angst. Klar, dass Sport dann nicht gerade das war, was ich während meiner Depression als hilfreich betrachtet habe.

    Ich mache leider auch heute noch viel zu wenig Sport, weil ich damit noch immer die Wunden und negativen Erfahrungen aus der Schulzeit verbinde. Wenn ich mich dann doch mal überwinde, Sport zu machen, dann meistens alleine, wenn mich niemand beobachtet – abgesehen von Spaziergängen mit meinem Freund.

    Ab und zu fühle ich mich – wie du es nanntest – “gut ausgepowert”. Aber oft kommen auch die schlimmen Erinnerungen und Gefühle aus der Vergangenheit hoch und ziehen mich eher noch mehr runter als ich es ohnehin schon bin.

    Ich weiß, die Schulzeit liegt mittlerweile über 15 Jahre zurück und ich sollte langsam damit abschließen. Aber das ist nicht so einfach …

    Liebe Grüße
    Mimi

    1. irisvilliam Post author

      Danke für deine Antwort! Das kann ich so gut verstehen. Ich hatte im Sportunterricht zum Glück keine großen Probleme. Ich habe es nur trotzdem nie geschafft, eine positive Beziehung zu Sport aufzubauen. Ich mache auch jetzt nur alleine Sport. Gehe auch am liebsten laufen, wenn draußen wenig los ist. Bei mir kommt das vor allem daher, dass ich besser auf meine Grenzen achten kann, wenn niemand neben mir steht, der sagt “Und noch eins, und nochmal mehr Power…” und so weiter. Ich bin früher, wenn ich mal Sport gemacht hab, immer über meine Grenzen gegangen und das war nicht gut.

      Schule kann so viel kaputt machen. Das ist echt schade. Und 15 Jahre finde ich da gar nicht viel, vor allem, wenn es keine neuen, positiven Erfahrungen dazu gibt.

      Alles Liebe
      Iris

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