Masking als Kontaktbrücke

Dieser Artikel befasst sich mit meinen persönlichen Erfahrungen mit dem „Masking“. Das Wort beschreibt, dass viele autistische Menschen aktiv (aber oft nicht bewusst) verbergen, was sie in den Augen anderer als „seltsam“ oder eben autistisch erkennbar werden lässt. Sie bleiben hinter einer „Maske“, um negative Reaktionen anderer Menschen zu vermeiden. Dazu gehört z. B., Blickkontakt einzugehen, obwohl es unangenehm ist, oder bestimmte Verhaltensweisen (wie z. B. mit dem Bein zu wippen) sein zu lassen.

Obwohl es häufig nicht bewusst passiert, kostet es Energie, diese Maske aufrecht zu erhalten. Es ist ein konstantes „Nicht man selbst sein können“. Es ist auch nur deswegen nicht bewusst, weil es schon so früh im Leben anfängt. Vielleicht wird einem schon im Kindergarten gesagt „Jetzt halt doch mal still.“, „Sieh mich bitte an.“, „Setz dich doch rüber zu den anderen Kindern.“, „So spielt man damit nicht.“. Man kriegt auf die ein oder andere Weise vermittelt, dass „man selbst sein“ zu Kritik führt, also lässt man es zunehmend.

Ich hoffe, diese knappe Erklärung reicht aus. Denn eigentlich will ich hier über meine Gedanken zu einem Erlebnis erzählen, das ich vor kurzem hatte. Ich unterhielt mich mit einem Bekannten (aus beruflichem Kontext) darüber, wie er mich anfangs wahrgenommen hat. Es wurde deutlich, dass er der Ansicht ist, ich wäre ja nach anfänglicher Distanziertheit „aufgetaut“. Sowas habe ich in meinem Leben schon öfter mal gehört.

Aber dieses Mal habe ich darüber nachgedacht, wie mich dieser Mensch eigentlich erlebt. Was er von mir weiß. Wie ich in seiner Gegenwart bin. Und mir wurde klar, dass „aufgetaut“ nicht stimmt. Dass ich immer noch sehr genau gucke, was ich von mir zeige und was nicht. Im Gegensatz zum Anfang ist es nur so, dass ich weiß, was ich zeigen darf und was nicht. Ich weiß z. B., dass er gern hat, wenn ich entspannt und locker wirke. Dass er Leistungsdruck nicht mag. Und deswegen lasse ich meine ehrgeizigen, ansprüchlichen Anteile eher weg.

Ich habe mich anhand dieser Bekanntschaft gefragt, wie das eigentlich abläuft, wenn ich neue Menschen kennenlerne. Ich bin dann anfangs angespannt und ganz auf der Hut, weil ich noch nicht weiß, was ok ist und was nicht. Ich achte sehr genau darauf, wann mein Gegenüber irritiert wirkt. Denn Irritation ist das Problem. Es geht nicht darum, ob ein Mensch eine andere Meinung hat als ich. Es geht um diesen irritierten Blick, bei dem ich so genau weiß, dass das, was ich gesagt oder ausgedrückt habe, nicht beim anderen ankommt.

Wenn ich dann eine Idee davon habe, welche Dinge für mein Gegenüber irritierend sind, lasse ich sie weg. Das ist eigentlich auch schon alles. Manchmal kann ich mir wie von außen zusehen, wie ich wie im Autopilot Dinge sage, die gut in die Situation passen und dazu führen, dass die anderen sich gut fühlen. Die aber gar nichts wirklich mit mir zu tun haben. Das sind keine Lügen, es sind schon auch Teile von mir. Nur überproportional vergrößert, an andere angepasst, verbogen.

Aber wenn mir diese Anpassung gelingt und ich keine grobe Irritation mehr befürchten musst, bin ich tatsächlich entspannter im Kontakt. Dann fühle ich mich sicher, nicht ertappt zu werden. Nicht ausgeschlossen oder noch weiter verbogen zu werden.

Wenn ich mich übrigens nicht anpasse, dann funktioniert der Kontakt nicht. Dann nehmen Menschen mich als abweisend, desinteressiert oder traurig wahr. Dann unternehmen sie Versuche, mich zu ändern, in der Annahme, mir zu helfen. Oder sie übergehen das, was ich gesagt habe, weil es gar nicht ankommt. Es wird nicht nachgefragt. Es kommt ein irritierter Blick und dann der Wechsel zu einer anderen Person oder einem anderen Thema. Als hätte ich gar nichts gesagt. Weil es nicht passt, was ich gesagt habe. Weil ich nicht passe.

Das ist etwas, was ich im Übrigen auch vermeide durch mein Masking. Das Gefühl, falsch zu sein. Und würde ich nicht andere neuroatypische Personen kennen, mit denen ich diese Schwierigkeiten nicht habe, würde ich einfach denken, dass das alles an mir liegt. Aber das ist nicht wahr. Es liegt eigentlich weder an mir noch an den neurotypischen Menschen. Es liegt an der Unterschiedlichkeit zwischen uns.

Das ist mein Fazit aus den ganzen Überlegungen: Ich muss mich anstrengen, damit der Kontakt zwischen mir und neurotypischen Menschen funktioniert. Ich muss die Unterschiede überbrücken, weil die Gegenseite mich sonst ignoriert oder missversteht. Es wäre schön, wenn es auch mal umgekehrt wäre. Wenn neurotypische Personen denken könnten: „Das Beinwippen nervt zwar ein wenig, aber das kann ich für ein halbstündiges Meeting schon aushalten.“ Oder wenn sie mir glauben würden, dass mein ruhiger Gesichtsausdruck kein Desinteresse ist, sondern mein Nachdenkgesicht, weil ich hoch investiert in die Thematik bin. Wenn sie mir beim Sprechen nicht ständig ins Gesicht sehen würden, weil mich das irritiert.

Es ist eine super Fähigkeit, sich auf neurotypische Menschen einstellen zu können, um die Unterschiede zu überbrücken und einen funktionierenden Kontakt herzustellen.

Es wäre ebenfalls eine hervorragende Fähigkeit, sich auf autistische Menschen einstellen zu können, damit die nicht allein für einen funktionierenden Kontakt zuständig sind. Aber das würde viel Aufmerksamkeit erfordern. Es würde bedeuten, dass die Menschen merken müssten, wenn sie mir vor den Kopf stoßen. Und das ist schwer, weil meine Reaktion nicht so ist, wie sie dann „sein sollte“. Weil ich entweder sehr ruhig bleibe und ohne viel Emotion sage, was ich mich stört. Das erweckt dann den Eindruck, dass es nicht wirklich schlimm ist. Oder ich bleibe eben nicht ruhig, und dann heißt es, dass ich überreagiere und das ja nicht an der Kleinigkeit liegen kann, von der ich rede. Es muss irgendwo anders herkommen, also kann man die „Kleinigkeit“ vergessen. Weil die anderen sicher besser wissen, wie es in mir aussieht.

Ach. Doof.

Zum Abschluss noch ein bisschen autistischer Humor. Folgender Diaglog spielte sich hier ab:

Ich: „Ich habe einen Text übers Masking geschrieben. Aber ich will den noch mal ändern, glaube ich.“

Er: „Gibt der nicht so das richtige Bild wieder?“

Ich: „Ja, Leute könnten ihn missverstehen.“

Ich hab den Text dann so gelassen.

1 thought on “Masking als Kontaktbrücke

  1. Claus Kullak

    Mit diesem Abschnitt kann ich mich sehr gut identifizieren: „Weil ich entweder sehr ruhig bleibe und ohne viel Emotion sage, was ich mich stört. Das erweckt dann den Eindruck, dass es nicht wirklich schlimm ist. Oder ich bleibe eben nicht ruhig, und dann heißt es, dass ich überreagiere und das ja nicht an der Kleinigkeit liegen kann, von der ich rede.“

    Danke für den Beitrag.

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