Ein gutes Ende

Ich bin oft von den Enden einer Geschichte enttäuscht. Ich weiß, dass es nicht nur mir so geht. Gerade bei längeren, komplexen Geschichten, wird es immer schwieriger, ein Ende zu gestalten, dass tatsächlich passt. Dass ein Ende nicht von allen gemocht werden kann, ist das eine. Aber ein Ende zu finden, dass überhaupt für die Geschichte funktioniert, ist nicht unbedingt einfach.

Aus meiner Sicht liegt das häufig daran, dass Geschichten über Probleme geschrieben werden, für die die Schreibenden selbst – auf einer emotionalen Ebene – noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden bzw. sich erarbeitet haben. Was meine ich damit?

Ich möchte als Beispiel über Buffy – Im Bann der Dämonen schreiben. Buffy hat mich durch meine Teenagerzeit begleitet und ich habe die Serie danach in allen Lebenskrisen noch einmal (nicht immer vollständig) angesehen. Damit will ich sagen: Die Serie bedeutet mir emotional sehr viel. Aber mit der letzten Staffel bin ich nie klargekommen und ich habe erst kürzlich verstanden, was mich daran so unruhig zurückgelassen hat.

Im Folgenden gibt es Spoiler zu Buffy. Man muss die Serie aber nicht gesehen haben, um zu verstehen, was ich meine.

Die Serie hat einen feministischen Anspruch. Empowerment, Frauen können auch stark sein, sind stark, wehren sich erfolgreich gegen Monster, befreien sich aus der Bevormundung alter Männer, haben Lebenskrisen und bewältigen sie…

In der letzten Staffel wird das feministische Thema noch einmal besonders deutlich angesprochen, denn der Haupt-Bösewicht ist ein übermächtiger, frauenfeindlicher Priester, der eine äußerst brutale Variante von Frauenhass verkörpert.

Wie kann eine Serie mit einem solchen Anspruch zufriedenstellend enden?

Buffy ist eine auserwählte Einzelkämpferin. Es gibt immer nur EINE Jägerin, die mit krassen mystischen Fähigkeiten (Reflexe, Körperkraft, Visonen…) ausgestattet wird. Die nächste wird berufen, wenn eine stirbt.

In der gesamten Serie wird dies immer wieder thematisiert. Freundschaft und das Nicht-Allein-Kämpfen-Müssen ist eine echt wichtige Sache in allen Staffeln, aber es wird auch immer wieder darauf zurückgeworfen, dass Buffy eben doch die einzige Auserwählte ist und in den entscheidenden Momenten nicht einfach alles an den Nagel hängen kann.

In der letzten Staffel wird das aufgebrochen durch die Idee, dass es Jägerinnen-Antwärterinnen gibt, die das Potential haben, Jägerin zu werden. Und das befreiende Ende der letzten Staffel ist nun, dass alle diese Anwärterinnen die gleiche Macht bekommen wie die Jägerin selbst. Es wird als großer Triumph über die patriarchalen Kräfte, die die Eine-Jägerin-Regel überhaupt erst erschaffen haben, dargestellt.

Die Welt verändert sich grundlegend. Alle Mädchen (die vorher schon das Potential hatten, also nicht wirklich alle) können nun Macht haben. Die Macht, lebenslang gegen Vampire, Dämonen und andere Monster zu kämpfen.

Anders formuliert: Das große Happy End ist gar nicht der Untergang des Patriarchats, sondern schlicht ein bisschen mehr Kraft, um das ständige Kämpfen auszuhalten. In der Serie gehen sie dem dann aus dem Weg, indem sie einfach mit einem Bus wegfahren.

Und hier nun meine Gedanken dazu:

Einerseits ist es ein stimmiges Ende, weil man das Patriarchat nicht mal eben so kurz beseitigt. Nichtmal in einer Fantasy-Welt, in der man symbolisch dafür gegen Monster und böse Priester kämpfen kann. Ein schlichtes „Ein Ritual löscht alle bösen Mächte aus“-Ende wäre noch weit frustrierender gewesen.

Aber es ist andererseits überhaupt nicht stimmig, weil die angebotene Lösung in der echten Welt nicht funktioniert. Wir schaffen das Patriarchat nicht ab, indem wir einzelnen Frauen mehr Macht geben. Wir sorgen nicht für Gleichberechtigung, indem wir Leuten sagen: „Ihr müsst einfach stärker sein.“ Stärke als Lösung funktioniert für so vertrackte Probleme nicht. Alle, die sie nicht haben, werden weiter von Vampiren gefressen.

Aber was funktioniert für derart vertrackte Probleme? Was funktioniert überhaupt als Lösung eines Problems, einer Krise? Und wenn man darauf keine Antwort hat, wie soll man es dann schreiben?

Ich habe immer wieder und bei sehr verschiedenen Geschichten am Ende das Gefühl, als wäre die Luft raus. Als würde die Handlung zunehmend diffus, unklar, weniger spannungsgeladen. Und dann wird plötzlich irgendeine Lösung präsentiert, der ich nicht folgen kann oder die gar nichts mit dem bisherigen Handlungsverlauf zu tun hat. Es ist harte, emotionale Arbeit, einer Geschichte ein befriedigendes Ende zu geben. Eins, das nicht aus dem Hut gezaubert wurde, und das (ggf. auf symbolischer Ebene) eine Lösung bietet, die eben auch in der Realität funktionieren würde.

Im Fall von Buffy liegt möglicherweise ein Problem darin, dass die Macher selbst Teil des Patriarchats sind und sich ein Leben ohne vielleicht weder vorstellen können noch wirklich wünschen. Dass ihr Feminismus ein Pseudo-Feminismus ist, der gar nichts verändern soll, sondern bloß das Gefühl vermitteln, dass Frauen selbst schuld sind, wenn sie nicht stark genug sind. (Also, vielleicht. Ich kenne die Macher nicht persönlich. Ich schließe aus dem, was die Serie hergibt, und was ich ansonsten über Joss Whedon so gelesen habe, was halt leider auch nicht so erfreulich ist. Selbsternannte Allys sind vermutlich immer mit Vorsicht zu genießen.)

Aber oft liegt das Problem „nur“ darin, dass die Schreibenden die Lösung noch nicht gefunden haben, obwohl sie sich wirklich eine Lösung wünschen.

Ich wünschte mir, dass an den Enden von Geschichten genauso gefeilt wird wie am Einsteiger. Ich weiß, man muss man Anfang dafür sorgen, das Publikum für sich zu gewinnen. Das ist wichtig, damit es überhaupt ein Publikum gibt. Wenn ein Ende sich nicht stimmig anfühlt, dann meistens mit guten Gründen, und häufig ist es ein sehr tiefliegendes Problem, das nicht einfach so ad hoc gelöst werden kann.

Aber: Ich plädiere hier auch für halbe Happy Ends. Man kann das ungenügende des Happy Ends mit einschließen, explizit machen. Ich möchte beispielhaft hier das Ende vom Herrn der Ringe nennen: Frodo geht, weil er das ganze Abenteuer nicht folgenlos überstanden hat. Es ist ein ehrliches Ende. Eins, das mich sehr berührt hat, und mir in einer sehr ambivalenten Lebenssituation geholfen hat, mit dem Gefühl, für immer ein sehr negatives Gefühl in mir tragen zu müssen, umzugehen. Happy Ends müssen nicht rosarot in jeder Hinsicht sein.

Für Buffy hätte ich mir ein Ende gewünscht, dass die Logik der Welt in einer ganz bestimmten Weise verändert hätte. Durch die Serie zieht sich nämlich noch eine andere Thematik: die Tatsache, dass die Existenz von Vampiren, Dämonen und Jägerin ein Geheimnis ist. Dass die breite Bevölkerung – obwohl sie immer wieder in Kämpfe und andere mystische Begebenheiten verwickelt ist – diese Existenz beständig leugnet.

Ich hätte mir kein Ende gewünscht, bei dem Vampire, Dämonen und andere böse Kräfte einfach verschwinden. Ich hätte mir ein Ende gewünscht, bei dem diese Dinge offenkundig werden. Sichtbar. Ein Ende der allgegenwärtigen Verleugnung, der Geheimniskrämerei. Ein Ende des Einzelkämpfertums, weil die gesamte Gesellschaft beschließt, dass Vampire und Dämonen ein Problem sind, dass gemeinschaftlich gelöst werden muss. Wenn Buffy und die Anwärterinnen am Ende nicht allein gegen eine Armee gekämpft hätten, sondern beschützt und begleitet worden wären. Von allen. (Es gab in der dritten Staffel ein ähnliches Staffel-Finale, in dem Buffys gesamte Abschlussklasse mit ihr in den Kampf zieht. Den gleichen Gedanken auf die Gesellschaft auszuweiten hätte mir sehr gefallen.)

Dieser Gedanke kam mir nun also, nachdem ich ca. 15 Jahre lang ein diffus schlechtes Gefühl zur letzten Staffel hatte. Und da bin ich wieder bei dem Punkt, dass gute Ende eben emotionale Arbeit erfordern. Persönliche Weiterentwicklung, damit sich auch die Charaktere weiterentwickeln können.

Mein Appell (an den sich natürlich niemand halten muss): Traut euch, unfertige Enden unfertig zu lassen. Traut euch, Enden zu schreiben, deren Logik ihr noch nicht ganz verstehen oder greifen könnt. Verzichtet auf Happy Ends, wenn die Story sie nicht hergibt. Spürt dem nach, wenn sich Enden noch nicht rund anfühlen.

Ich liebe gute Enden, und ich lese sie zu selten.

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