Darf man ein Entlein bleiben?

(Bildbeschreibung: Ein Schwan in der Abendsonne)

Ich habe ja eine megagroße Abneigung gegen diesen Trope, wo eine Frau (in Film/Serie) als Eigenschaft „unmodisch“ oder sogar hässlich-weil-ungestylt zugeschrieben wird. Irgendwann im Verlauf der Handlung bekommt sie dann ein einzelnes Kleid geschenkt, das ihr gut passt, und plötzlich wird sie Expertin in Styling, verbringt ihr Leben auf Highheels und ist immer gut gekleidet. Das “hässliche Entlein” wurde durch ein Wunder zum Schwan. Juhu.

Am furchtbarsten fand ich diesen Trope im Fall von Amy Farrah Fowler aus The Big Bang Theory. (Spoiler im ganzen Artikel.) Eine Wissenschaftlerin, die ihr Leben lang mit Ausgrenzung und Anderssein konfrontiert war, die eine übergriffige oder sogar gewalttätige Mutter hat, und bei der man so interessante Handlungsstränge basteln könnte, bekommt als großes Serienfinale: Endlich hübsch sein! Gemeint ist das vermutlich als Pinocchio-Ende. Sie ist endlich ein richtiger Mensch, eine richtige Frau, keine alberne Holzmarionette mehr.

Ich benutze Amy hier durchgehend als Beispiel, aber man muss die Serie nicht kennen, um meine Aussagen zu verstehen. Ich habe die Serie insgesamt gern gesehen, auch wenn es so unendlich viele problematische Dinge daran zu diskutieren gäbe. Das möchte ich in diesem Artikel nicht tun, es geht mir gerade nur um diesen einen Trope. Was mich daran so sehr stört, ist, dass er auf verschiedene Mythen aufbaut und dazu beiträgt, diese aufrecht zu erhalten.

Mythos 1: Alle Frauen wollen immer hübsch und am besten noch sexy/attraktiv sein.

Es wird in diesen Geschichten in der Regel so dargestellt, als hätte die Person, um die es geht, einen bestimmten Grund, sich nicht schick anzuziehen. Oft ist dies reine Unwissenheit/modische Unfähigkeit. Manchmal auch Schüchternheit, Angst davor, aufzufallen, oder der Glaube, eh nicht hübsch genug zu sein. Oder auch mal „süße Verpeiltheit“, die dazu führt, dass sie es nicht so richtig auf die Reihe kriegt, obwohl sie es versucht. In Amys Fall scheinen es eher autismustypische Dinge zu sein, die zu ihrem auffälligen und als unmodisch dargestellten Kleidungsstil führen.

Wenn dann dieser Grund behoben ist – durch das Kaufen eines einzelnen Kleides – geht es den Leuten plötzlich gut. Sie sind endlich „normale Frauen“, glücklich, hübsch, sexy. Ob nun Angst oder Autismus, alles kann mit der richtigen Einstellung “behoben” werden.

Im Fall von Amy Farrah Fowler gibt es eine tränenreiche Szene, in der sie schamvoll gesteht, dass ihr ihr Äußeres nicht egal ist, obwohl sie sich damit oberflächlich fühlt. Sie, die Wissenschaftlerin, die sich irgendwie dem Geistigen verschrieben hat, möchte gar sicht eigentlich nicht um Oberflächlichkeiten scheren – tut es aber doch.

Um ehrlich zu sein: Das hätte ich sein können. Nein, es ist mir nicht egal, wie ich aussehe, auch wenn ich mir das lange eingeredet habe. ABER, und das ist ein wirklich, wirklich großes ABER: Es steht in meiner Prioritätenliste sehr weit unten. Ob ich mich style oder nicht, hat vergleichsweise wenig Einfluss darauf, wie glücklich oder vollständig ich mich fühle. Es ist nicht mein Lebensziel. Es ist etwa gleichwertig damit, einen guten Käsekuchen backen zu können. Für manche Gelegenheiten hilfreich, meistens aber eben doch egal.

Ich fand übrigens, dass sie es bei der Hochzeit von Amy und Sheldon ganz gut hingekriegt haben. Ihre Freude über ihr Brautkleid, das ihre Freundinnen eher schräg fanden, das Sheldon vom ersten Augenblick mit „Wow, you’re beautiful“ kommentierte… Das ist eine modische Freiheit, die ich mir wünschen würde und von der wir mehr bräuchten.

Mythos 2: Gut aussehen ist einfach.

Nachdem konstituiert wurde, dass „gut aussehen“ nur eine Frage der inneren Einstellung ist, läuft das bei der Protagonistin ab jetzt auch einwandfrei. Sie ist immer gestylt. Sie sieht immer gut aus. Sie trägt immer passende, auf einander abgestimmte Kleidung. Meistens mit High Heels, in denen sie von heute auf morgen laufen kann, ohne dass ihr die Füße abfallen.

Amy sieht man, nachdem sie einmal beim Friseur und shoppen war, nur noch gestylt.

Ich hätte es gefeiert, wenn ihre Handlung dann damit weitergegangen wäre, dass sie feststellt, wie viel Zeit das kostet. Wie viel man sich eigentlich um so hübsch wellige Locken kümmern muss, wenn die Haare von Natur aus einfach glatt sind. Wie viel Zeit ordentliches Makeup, rasierte Beine und das Abstimmen von Kleidung kostet. Perfekte Maniküre noch oben drauf. Dass man ungeübt nicht plötzlich nur noch High Heels tragen kann. Ehrlich, eine Szene, wo sie drei Stunden lang versucht, die Haare so zu stylen, wie es beim Friseur gemacht wurde, und daran kläglich scheitert – das hätte ich cool gefunden.

Und genauso, wenn sie dann am Ende dieser Handlung eine Fähigkeit mehr gehabt hätte (nämlich sich zu stylen) und die nach eigenem Bedürfnis manchmal einsetzt und manchmal nicht. Wenn sichtbar geworden wäre, wie anstrengend und wenig selbstverständlich das eigentlich ist.

Ich war schon ziemlich erwachsen, als mir klar wurde, dass Schminken, Stylen, Kleidung auswählen etc. einem nicht über Nacht zufliegt. Dass Menschen, die das wirklich gut können, es geübt haben. Dinge ausprobieren. Vielleicht auch darüber lesen oder Videos ansehen. Und dass sie mehr entsprechendes Equipment besitzen als einen Reiseföhn und Lidschatten. Und seit mir das alles klar ist, habe ich auch mehr Achtung davor, wenn Menschen diese Anstrengung auf sich nehmen. Ob nun aus Selbstverwirklichung oder “weil man’s halt so macht” oder warum auch immer.

Mythos 3: Alle Menschen sind (mainstream-)schön.

Für Film und Fernsehen werden ja selbst für die hässlichen Rollen Leute gecastet, die dann mit dem entsprechenden Styling aussehen, wie so Hollywood-Leute eben aussehen. Für die funktioniert dieser Trope dann halt auch wunderbar.

In der Realität werden wir nicht alle zu Supermodels, wenn wir uns ein tolles Kleid anziehen. Wir müssen das auch nicht. Es ist ein völlig unnötiger Druck, dass wir alle wunderschön sein sollen.

Natürlich ist Schönheit etwas sehr, sehr subjektives. Und ich bin durchaus der Meinung, dass an der Aussage „Alle Menschen sind schön“ auch etwas Wahres dran ist. Aber nicht in der Art, wie es durch diesen Trope zum Ausdruck gebracht wird. „Alle Menschen sind schön“ heißt für mich, dass ganz unterschiedliche Menschen mit ihren unterschiedlichen Körpern, unterschiedlichen Modegeschmäckern etc. einfach durch ihr Sosein schön sind. Es heißt nicht, dass wir alle durch etwas Makeup so aussehen könnten wie die Leute auf der Leinwand. Das anzustreben ist, denke ich, oft eher Quelle für Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle als dass es uns dabei hilft, ein glückliches, zufriedenes Leben zu führen.

Als eine wirklich angenehme Form von Bodypositivity empfinde ich übrigens “Good Body” von Mona Haydar. Der Fokus wird in dem Lied auch weniger aufs Aussehen gelegt und ich finde es wirklich empowernd.

Mythos 4: Beuge dich dem Mainstream und du wirst ein wundervolles Leben haben.

Wer, wie ich, nur sehr selten irgendeine Form von Makeup oder explizitem Styling an sich trägt (und überwiegend für weiblich gehalten wird), kennt vermutlich den Effekt, den es dann hat: Man bekommt überschwängliches Lob für das Sommerkleid, den Lidstrich, die Halskette. Unterschwellig aber mit der Botschaft: „Mach das bitte öfter. So, wie du jetzt bist, finden wir dich besser. So ist es uns wohler. So ist es normaler.“

Das ist zumindest das, was oft bei mir ankommt. Manchmal ist auch ein offen ausgesprochenes „Siehst du, so viel Aufwand ist das doch nicht.“ oder ähnliches dabei, was schon aktiver darauf drängt, das bitte öfter zu machen. Mir wurde auch schon recht aufdringlich erklärt, dass ich doch mit nur 10 Minuten Aufwand jeden Tag immer glatt rasierte Beinen haben könnte. 10 Minuten. Jeden Tag. (Für mich ist das viel!) Sollte ich mir doch aber “gönnen”, weil ich mich dann so viel besser fühlen würde.

Der beschriebene Trope tut oft etwas ähnliches. Wenn die Protagonistin endlich gestylt ist, ist sie plötzlich kein Fremdkörper mehr in der Gruppe, wird akzeptiert, von ihrem Love Interest wahrgenommen. Und damit geht es ihr gut. Sie ist jetzt halt toller und glücklicher als vorher.

Es kommt keine Wendung des Tropes, in der die Protagonistin feststellt, dass sie sich im Grunde nur verkleidet und nicht mehr sie selbst ist. Dabei wäre das für mich z. B. realistisch. Wenn jemand 30 Jahre lang kaum Interesse an Styling hatte, warum soll das plötzlich so ein zentraler Aspekt des eigenen Seins werden? Ach ja, siehe Mythos 2: Es wird eben unterschlagen, dass es Zeit, Geld, Anstrengung kostet und dass man sich ganz bewusst darum kümmern muss. Es läuft ja dann von allein. Man wacht quasi schon so auf.

Fazit:

Niemand muss schön sein. Niemand sollte dazu gedrängt werden, bestimmte Schönheitsideale zu leben. Persönlicher Wert hängt nicht davon ab, ob man sich jeden Tag stylt.

Und schreibt bitte weibliche Charaktere mit anderen Lebenszielen.

2 thoughts on “Darf man ein Entlein bleiben?

  1. Iva Moor

    Das ist so ein guter Artikel, Iris!
    Danke, dass du in Worte gefasst hast, was mich bei solchen Plots immer gestört hat und warum ich den Konformitätsdruck in der Realität so furchtbar finde. Es geht zum Teil ja noch weiter, wenn Alter als Komponente dazukommt, gerade bei Frauen und als Frauen gelesenen Personen: Wenn sie keine Lust haben, sich zu schminken oder die grauen Haare zu überfärben, „lassen sie sich im Alter gehen“, während die, die die Zeit & den Effort investieren (sei es, weil sie sich so wohler fühlen oder eben aus Konformität), „halten sich gut“, sind „cool drauf für ihr Alter“ und „gepflegt“ (dass man als ungepflegt gilt, wenn man bestimmte Dinge, zB Rasieren, Schminken, etc. nicht macht, ist ein besonderes Hassthema von mir…).
    Für mehr „hässliche“ (pfff!) Entlein!

    1. irisvilliam Post author

      Ich muss gestehen, ich bin froh, aus den 20ern raus zu sein, weil ich irgendwie den Eindruck habe, dass man jetzt von mir weniger erwartet, dass ich immer “hot” sein will.

      Aber das Thema, dass man als ungepflegt gilt, wenn man z. B. kein Makeup trägt oder (sichtbare) unrasierte Beine hat, geht mir auch gewaltig auf den Keks. Da wird so viel Scham aufgebaut, finde ich. Hat sowas von Mobbing “ih, die duscht sich nicht”, obwohl alles OK ist.

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